Neustart Recruiting Leseprobe

INHALT 4 Kapitel 1: Warum ﬁnde ich keine Mitarbeiter? Du willst oder brauchst gar keine neuen Mitarbeiter. 7 9 Du weißt deine Mitarbeiter nicht zu schätzen. 11 Du bist kein attraktiver Arbeitgeber. 13 Du suchst die Schuld nur bei anderen. 15 Du handelst nicht. 17 Du machst kein Recruiting. 20 Du fällst nicht auf. 22 Du hast falsche Erwartungen. 25 Du suchst zu spät. Jetzt bist du dran! 27 32 Kapitel 2: Warum sollte jemand bei mir arbeiten? 35 Weil du einen AUFTRAG hast. 39 Weil du für deine WERTE einstehst. 42 Weil du echte BENEFITS bietest. 45 Weil du ENTWICKLUNG ermöglichst. 48 Weil du ein VORBILD bist. 50 Jetzt bist du dran! 2 die zu meinem Unternehmen passen? 66 Kapitel 3: Wie ﬁnde ich Mitarbeiter, 69 Rekrutiere mit Zielen und Werten. 71 Such nach Menschen, nicht nach Jobprofilen. 74 Begeistere, statt zu informieren. 76 Führe Gespräche, statt Lebensläufe zu analysieren. 80 Geh neue Wege. 82 Jetzt bist du dran! 1 3 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei einigen Personenbezeichnungen und personen bezogenen Hauptwörtern in diesem Buch das generische Maskulinum verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grund sätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keinerlei Wertung.

4 5 6 ins Unternehmen? 84 Kapitel 4: Wie integriere ich Mitarbeiter 86 Mach den Start für alle einfach. 88 Etabliere standardisierte Abläufe. 93 Sorge für Sicher heit durch klare Kommunikation. 94 Beziehe alle Schlüssel personen ein. 95 Jetzt bist du dran! im Unternehmen? 100 Kapitel 5: Wie halte ich Mitarbeiter 103 Komm aus der Opferrolle raus! 105 Denk unter nehmerisch. 107 Nutze die bisherigen Erfahrungen der Berufseinsteiger für dich. Investiere in deine Mitarbeitenden 110 Stell früh genug die Weichen. 113 116 Vertu keine Chancen durch Befristungen. 118 Lass deine Ängste los. 120 Mach deine Führungskräfte zu Talententwicklern. 122 Jetzt bist du dran! 126 Kapitel 6: Wie trenne ich mich von Mitarbeitern? 128 Rechne mit dem Schlimmsten. 131 Vergiss deine Gefühle. 133 Steh für deine Werte ein. 135 Führe Strukturen ein. 140 Jetzt bist du dran!

Neun Monate – so lange hat es in meiner letzten Festanstellung gedauert, bis ich alles hingeschmissen habe. Nicht wegen des Jobs an sich, nicht wegen der Branche oder der Firma als Ganze, sondern einzig und allein wegen einer Person: meinem Chef. Denk mal an den typischen Vertriebsjob, in dem die Umsätze unter hohem Tempo ständig auf und ab gehen: Genau so war meiner auch. Als Team- leiter betreute ich Projekte, führte Mitarbeitende und war natürlich auch selbst als Verkäufer unterwegs. Für unsere Kunden sah das Unternehmen von außen erfolgreich aus. Doch innen, für uns Mitarbeitende, war es eine ganz andere Welt … Dauernde Drohungen, Verkaufsdruck ohne Rücksicht auf die wirklichen Bedürfnisse der Kundschaft – für den Chef schien alles erlaubt. Anstatt zu fragen: „Braucht der Kunde das wirklich?“, hieß es nur: „Wie viel Budget kann der Kunde noch für uns hergeben?“ Wir wurden mit hohen Provisionen moti- viert – aber am Zahltag fand der Chef dann immer Gründe, warum er diese dann doch nicht in der vereinbarten Höhe auszahlen kann. Wir hörten ständig, dass das Geld knapp sei, die Löhne vielleicht nicht gezahlt werden könnten und alle mal mehr reinhauen müssten. Nur um dann im nächsten Moment zu sehen, wie der Chef in seinem Luxussportwagen ins frühe Wochenende rauscht. Es war nicht die Arbeit, die mich zum Gehen gezwungen hat. Es war die Art und Weise, wie dieser eine Mensch, meine Führungskraft, seine Firma führte – durch Angst, Druck und ständige Täuschung. Ich sah Kolleginnen nach seinen Wutausbrüchen weinend durchs Büro laufen, sah, wie er Versprechen brach und Mitarbeitende manipulierte. Nach einem weiteren Tag voller Eskalationen hatte ich endgültig die Nase voll: In einem Meeting bin ich einfach aufgestanden und gegangen. In dem Moment habe ich entschieden: Ich will nicht länger in diesem toxischen Umfeld arbeiten und werde mich aus dieser Opferrolle befreien. Sobald das Meeting beendet war, habe ich einen Aufhebungsvertrag unter- schrieben und habe nie wieder einen Fuß in diese Firma gesetzt. Bald darauf habe ich mit einem mobilen Cocktailservice den Sprung in die Selbstständig- keit gewagt. 5

Die Ironie des Ganzen ist: Mein alter Chef wundert sich noch heute, warum er keine Mitarbeitenden findet oder halten kann. Dabei müsste er für die Antwort nur einmal in den Spiegel schauen – oder ehemalige Mitarbeitende fragen. Eine wichtige Lehre habe ich aus dieser Erfahrung mitgenommen: Wenn du als Führungskraft kein Vorbild für deine Mitarbeitenden bist, wirst du immer Probleme haben, gute Leute zu finden und zu halten. Es liegt an dir, Verant- wortung zu übernehmen und Veränderungen voranzutreiben, statt dich als Opfer der Umstände zu sehen. Die Story findest du übertrieben und du bist dir sicher, dass du deine Mitarbei- tenden nicht so zur Tür heraustreibst wie mein Chef damals? Das mag sein. Denn die Tatsache, dass du dieses Buch in den Händen hältst, zeigt ja schon, dass du eine bessere Führungskraft bist, als mein Chef es jemals war: Du hast verstanden, dass sich etwas ändern muss. Dass DU etwas ändern musst. Du hast verstanden, dass nicht immer nur die Bewerber daran schuld sein können, dass du deine Stellen nicht besetzt bekommst. Wie ich damals, bist du aufgestanden und sagst dir: „Ich will nicht mehr das Opfer meiner Umstände sein, es muss noch einen anderen Weg geben!“ Den gibt es! Und um diesen Weg zu finden, gehen wir als Erstes der wich- tigsten Frage auf den Grund: Warum findest du keine Mitarbeitenden? Auf den nächsten Seiten werde ich dich mit ein paar unbequemen Antworten auf diese Frage wachrütteln. Das wird vielleicht etwas wehtun, denn du wirst dich an manchen Stellen ertappt fühlen und dir Dinge eingestehen, vor denen du bisher die Augen verschlossen hast. Aber ich appelliere an dich: Bleib offen und ehrlich mit dir! Denn die gute Nachricht ist: Nach dieser kleinen Selbstreflexion zeige ich dir in den nächsten Kapiteln, wie du Schritt für Schritt aus der Opferrolle raus- kommst und dich zu dem Arbeitgeber entwickelst, für den alle arbeiten wollen. Los geht’s! 6

Wenn alle deine Mitarbeitenden total zufrieden wären, würden sie nicht kündigen. Stattdessen würden sie ihre Freunde und Bekannten von deinem Unternehmen begeistern, du hättest mehr Interessenten als Jobangebote. Stell dir mal ganz ehrlich die Frage: „Was erzählen meine Mitarbeitenden wohl Familie und Freunden über mein Unternehmen und ihren Job? Wie gut kommt meine Firma dabei weg?“ HEUTE BLEIBT DIE KÜCHE KALT. Über meine Personalvermittlung hatten wir mal eine erfahrene Köchin in einen Restaurantjob vermittelt, der auf dem Papier zu ihr passte wie Topf auf Deckel. Nach ein paar Wochen rief mich der Arbeitgeber an und beschwerte sich, dass die neue Mitarbeiterin jetzt schon seit Tagen ausfalle, und forderte, sie solle gefälligst zurück zur Arbeit kommen. Also rief ich die junge Köchin an, um mal zu hören, was da los ist. Ans Telefon ging eine Köchin, die nicht nur stark erkältet, sondern auch ziemlich frustriert war. „Seit sechs Tagen haben wir keine Heizung in der Küche und frieren uns einen ab. Dann falle ich deswegen mit einer dicken Erkältung mal zwei Tage aus, da macht der Chef bei mir Telefonterror und fordert, dass ich wieder zu Arbeit komme.“ Ich habe der Köchin gesagt, sie solle in Ruhe gesund werden, wir würden dann eine neue Lösung für sie finden. Dann habe ich ihren Chef – unseren Kunden – angerufen, ihm erklärt, dass so ein Verhalten den Mitarbeitenden gegenüber unprofessionell ist, und habe die Zusammenarbeit gekündigt. Wer so respektlos und unverantwortlich mit Menschen umgeht, mit dem arbeiten wir nicht zusammen. Die junge Köchin hat schnell einen neuen Job gefunden – denn gute Mitarbei- tende sind überall gefragt. Sie hatte es nicht nötig, in einer ungeheizten Küche zu stehen und sich vom Chef schikanieren zu lassen. 8

Jetzt bist du dran! In diesem Kapitel habe ich dich mit vielen Fragen konfrontiert, mit denen du dir selbst einmal ehrlich den Spiegel vorhalten kannst. Falls du es beim Lesen noch nicht getan hast, nimm dir jetzt ein paar Minuten Zeit, um die Fragen zu beantworten. Du musst die Antworten niemandem zeigen, sie dienen nur deiner Selbstreflexion. Also: Sei ehrlich zu dir und schone dich nicht. NO1 BRAUCHE ICH WIRKLICH NEUE MITARBEITENDE? ➜ Wie wichtig sind Menschen für mein Unternehmen? ➜ Wie sähe mein Laden aus, wenn morgen alle Mitarbeitenden weg wären? ➜ Wie würde ich mich fühlen, wenn ich keine Mitarbeitenden mehr bräuchte? ➜ Welche Prozesse könnte ich automatisieren und outsourcen, wenn ich keine Mitarbeitenden hätte oder finden könnte? NO2 WEISS ICH MEINE MITARBEITENDEN ZU SCHÄTZEN? ➜ Welchen Beitrag leisten meine Mitarbeitenden zu meinen Zielen? ➜ Wo würde mein Unternehmen ohne meine Mitarbeitenden stehen? ➜ Wie zeige ich meinen Mitarbeitenden meine Dankbarkeit für ihren Beitrag? 10

Als Recruiter erlebe ich es immer wieder: Unternehmen rufen mich verärgert an, weil ein von mir vermittelter Kandidat bereits nach ein paar Wochen das Handtuch geworfen hat. Die Schuld suchen sie dann bei mir – dem Recruiter, der ihnen angeblich ein „faules Ei“ ins Nest gelegt hat. Oder sie schieben alles auf den Bewerber, der angeblich unmotiviert und undankbar ist. Diesen Kunden fallen immer viele Gründe ein, warum der Mitarbeiter sie verlassen hat – aber ihr eigenes Verhalten steht nie auf der Liste. In solchen Fällen frage ich dann immer erst mal nach dem Onboarding- Prozess: Wie wurde der neue Mitarbeiter eingeführt? Hatte er klare Anwei- sungen und eine strukturierte Einarbeitung? Meistens blicke ich dann in betre- tene und ratlose Gesichter. Wenn ich dann ein kleines Exit-Interview mit diesem kurzzeitig Beschäftigten führe, erkenne ich meist ein frustrierendes und chaotisches Bild: Der neue Mitarbeiter sollte ohne Anleitung und Begleitung ab Tag 1 den Job seiner Vorgängerin nahtlos übernehmen. In vielen Fällen stapelten sich dazu noch die unerledigten Aufgaben von dieser Vorgängerin auf seinem Schreibtisch ... Mitarbeitende, die eine neue Stelle schnell wieder verlassen, berichten fast immer von einer Überlastung mit Aufgaben, ohne jegliche Einarbeitung oder Unterstützung. Die Erwartungen, die im Bewerbungsgespräch und in der Stel- lenanzeige geweckt wurden, waren weit entfernt von dem, was sie in den ersten Arbeitswochen vorfanden. Wenn ich sowas höre, möchte ich den Arbeitgebern eine einfache Frage stellen: „Wie würdest du dich fühlen, wenn deine erste Arbeitswoche so aussehen würde? Wie passt das zu den Erwartungen, die du via Stellenan- zeige und Bewerbungsgespräch kommuniziert hast?“ Als Antwort ernte ich meistens betretenes Schweigen. In diesem Kapitel zeige ich dir, worauf es beim Onboarding von neuen Mitar- beitenden ankommt. Denn ein gut strukturierter Onboarding-Prozess ist das A und O: Er gibt neuen Beschäftigten das Gefühl, Teil von etwas Besonderem zu sein, und ermöglicht es ihnen, schnell und effektiv im Unternehmen anzu- kommen und zu arbeiten. Wer hier spart, spart am falschen Ende. 13

In der Bundeswehr wird jedem Rekruten in den ersten Wochen beigebracht, wie man die Uniform trägt, den Spind einräumt, und wie man sich formell richtig verhält. Diese Grundausbildung ist mehr als nur das Erlernen von Fertigkeiten, es ist eine Einführung in eine völlig neue Welt mit eigenen Regeln und Normen. Die neuen Soldaten lernen nicht nur, was zu tun ist, sondern verstehen auch, warum es auf diese eine bestimmte Weise getan wird. Das Warum hinter jeder Regel ist entscheidend – darum tragen die Ausbilder die Verantwortung dafür, dass die Soldaten nicht nur Befehle befolgen, sondern auch die Werte und das übergeordnete Ziel verstehen, das dahinter steht. Die Grundausbildung ist mehr als nur Training, sie dient vor allem als Vorbe- reitung auf den Einsatz in den Einheiten. Ohne diese Ausbildung wären die Soldaten nicht in der Lage, ihre Rolle effektiv zu erfüllen. Mit dieser Ausbil- dung wissen sie jederzeit, was in welcher Situation von ihnen erwartet wird und wie sie sich zu verhalten haben. Das gibt den Soldaten selbst Sicherheit und sorgt gleichzeitig für reibungslose Abläufe im Team. Meine eigenen Erfahrungen als Ausbilder bei der Bundeswehr haben mir gezeigt, wie wichtig Verständnis und gute Führung für den Erfolg in der Ausbildung sind. Diese Erkenntnisse habe ich für meine Unternehmen in die zivile Arbeitswelt übertragen. Natürlich ist in den meisten Unternehmen keine dreimonatige Grundausbildung erforderlich, aber ein gut strukturierter Onbo- arding-Prozess ist trotzdem wichtig. Die sorgfältige Planung und Vorbereitung des Onboardings, die Bereitstellung klarer Anweisungen und Informationen sowie die persönliche Begrüßung und Einführung sind entscheidend, um neuen Mitarbeitenden einen guten Start zu ermöglichen. Wenn es um das Eingliedern neuer Kollegen geht, kannst du dir bestimmt noch einiges von den strukturierten Verfahren der Bundeswehr abschauen. 15

Ein gut durchdachtes Onboarding-Programm sorgt dafür, dass alle neuen Angestellten die gleiche qualitativ hochwertige Einführung in das Unter- nehmen erhalten, unabhängig von der Abteilung oder Position. Und das fängt schon mit dem Vorstellungsgespräch an! Hier sind ein paar Beispiele dafür, welche Prozesse du standardisieren soll- test, um neuen Mitarbeitenden einen geschmeidigen Start in deinem Unter- nehmen zu ermöglichen: DAS VORSTELLUNGSGESPRÄCH (UND DIE TAGE DANACH) Das Vorstellungsgespräch ist immer auch ein Verkaufsgespräch. Darum kannst du dir hier einiges von deinen Vertrieblern abgucken: Die lassen einen Kunden nach dem ersten Gespräch auch nicht vom Haken, damit er mal „in Ruhe nachdenken und sich dann melden“ kann. Nein: Hier wird ein Termin ausgemacht, an dem der Vertriebler sich noch mal proaktiv meldet, mögliche Widerstände auflöst und der Kunde eine Entscheidung trifft. Etabliere so einen Ablauf auch für deine Bewerbungsgespräche! So erhöhst du die Wahr- scheinlichkeit, dass die Person sich für dein Unternehmen entscheidet. DIE VERTRAGSUNTERZEICHNUNG Ein besonderer Moment, der oft unterschätzt wird, ist die Vertragsunter- zeichnung. Diesen Moment sollte man feiern, um den neuen Mitarbeitenden zu zeigen, dass sie willkommen sind. Das ist eine so einfache Chance, deine Wertschätzung auszudrücken und ein gutes Bauchgefühl zu erzeugen. Mit einem meiner Kunden in der Hotellerie habe ich folgendes Ritual etabliert: Er lädt neue Teammitglieder zum Vertragsabschluss ins hauseigene Restaurant ein und stößt mit einem Glas Champagner auf die Zusammenarbeit an. Oder ein Autohändler lädt seine neuen Azubis zur Vertragsunterzeichnung in seinen Showroom ein und stellt ihnen dann die neuen Modelle vor. Egal, wie du es machst, und auch wenn es nur eine Apfelschorle in eurem Konferenzraum ist: Was zählt, ist die Geste und der besondere Moment. So etwas bleibt in Erin- nerung und nimmt deinem neuen Mitarbeiter dazu noch die Angst vor dem ersten Arbeitstag. 17

Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl, als mir das erste Mal die Lauf- bahnmöglichkeiten in der Bundeswehr vorgestellt wurden. Es war irgendwie ein paradoxes Gefühl: Als freiheitsliebender Mensch war mein erster Impuls Ablehnung – ich lasse mir doch von niemandem vorschreiben, wie ich meine Laufbahn gestalte! Aber auf den zweiten Blick hat mich gerade die struk- turierte Planung angesprochen: festgelegte Laufbahnen mit klaren Zielen und Entwicklungschancen haben mir eine Perspektive gegeben, die ich für mich selbst nie gesehen hätte. Es war, als hätte ich eine Landkarte für meine berufliche Reise in der Hand – mit festen Stationen, aber auch mit Raum für persönliche Entwicklung. In meiner Rolle als Berater beobachte ich häufig, dass meine Kunden wert- volle Mitarbeitende verlieren, weil sie es versäumen, rechtzeitig Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Oft sind es gerade Positionen in den unteren Hierarchieebenen, in denen viel Fluktuation herrscht, die Führungskräfte oft vor Ratlosigkeit stellt. Sie sind dann wirklich überrascht, dass ihre Mitarbeitenden auf einmal mit dem Status quo nicht mehr zufrieden sind und sich umorientieren. Dabei ist es doch eine ganz einfache Wahrheit: Wer seinen Mitarbeitenden keine Perspektiven bietet, riskiert, sie zu verlieren. Ich habe das selbst als Angestellter mal erlebt. In einem Unternehmen, in dem ich früher tätig war, habe ich um eine Gehaltserhöhung und Entwick- lungsmöglichkeiten gebeten. Das wurde abgelehnt, weil ich angeblich zu jung war – mein Wunsch wurde als vermessen abgetan. Also habe ich kurz darauf das Unternehmen verlassen. Später hörte ich, dass zwei neue Mitarbeitende eingestellt wurden, um meine Aufgaben zu übernehmen – wohlgemerkt mit höheren Kosten für das Unternehmen. Anders war es bei der Bundeswehr: Da wurde mir von Beginn an eine klare Laufbahn vorgezeichnet. Ich hatte einen vorgegebenen Weg mit definierten Zielen, Ausbildungen und Positionen, die ich erreichen konnte. Dieser Weg gab meinem beruflichen Dasein nicht nur Struktur, sondern auch einen Sinn. Diese Kombination aus festen Zielen und dem übergeordneten Zweck war mein Antrieb, und ich fühlte mich als Teil eines größeren Plans. In meinen Beratungen gebe ich diese Erfahrungen und Erkenntnisse heute an meine Kunden weiter: Als Unternehmer musst du verstehen, dass es für echte 19

Mitarbeiterbindung mehr braucht als nur einen Gehaltsscheck und vielleicht noch ein paar Benefits. Es geht darum, Perspektiven zu schaffen, Entwick- lungsmöglichkeiten aufzuzeigen und deinen Mitarbeitenden zu vermitteln, dass ihr Beitrag wichtig ist und dass es einen Weg nach vorne gibt. Nur so wirst du das volle Potenzial deiner Beschäftigten ausschöpfen und sie lang- fristig an das Unternehmen binden. In diesem Kapitel erkläre ich dir, wie du verhinderst, dass deine Mitarbeitenden schon nach kurzer Zeit frustriert und desillusioniert zur Konkurrenz wechseln, weil dort das Gras grüner zu sein scheint. Da kommt ziemlich viel Arbeit auf dich zu. Aber eigentlich brauchst du dafür nur das, was dich zu dem gemacht hat, was du heute bist: dein Unternehmergeist. 20

Es ist mal wieder Zeit, Klartext zu reden: Wenn ein Mitarbeiter dein Unter- nehmen verlässt, bist nicht du das Opfer. Nein! – Das ist deine Schuld. Denn du hast ihn gehen lassen. Also pack dein Ego und deine Emotionen in die Schub- lade und schau dir die Lage mal rational an: Was ist wirklich passiert? Hat dieser Mitarbeiter deinen Betrieb nur wegen ein paar Euro mehr verlassen? Oder steckt da mehr dahinter? Wenn wir ehrlich sind, verlassen Mitarbeitende aber nicht nur schlechte Chefs oder unangenehme Kollegen. Sie verlassen Jobs ohne Perspektive, in denen sie sich nicht weiterentwickeln können. Jobs, die sich wie ein Hams- terrad oder eine Sackgasse anfühlen. Ein höheres Gehalt bei der Konkurrenz ist dann nur der Gipfel auf einem Berg voller Unzufriedenheiten. Mitarbeitende verlassen dich nicht. Du lässt sie gehen. Versteh mich nicht falsch: Mitarbeitende kommen und gehen, das ist heute normal. Kaum mehr jemand verbringt sein gesamtes Arbeitsleben in ein und demselben Betrieb – und schon gar nicht auf derselben Stelle. Die Zeiten haben sich geändert, darum solltest du auch deine Erwartungen ändern. Also: Nimm es nicht persönlich, wenn jemand geht. Sieh es stattdessen als unternehmerische Herausforderung. Denn du hast es in der Hand, proaktiv dafür zu sorgen, dass sich deine Leute bei dir wohlfühlen. Dass sie sich entwi- ckeln können. Dass sie nicht nur einen Gehaltscheck, sondern eine Laufbahn und eine Zukunft bei dir sehen. Wenn du das hinbekommst, dann hast du nicht nur Angestellte – dann hast du Menschen, die mit dir gemeinsam am Erfolg deines Unternehmens arbeiten. Mitarbeitende kommen und gehen. Das bringt auch immer wieder frischen Wind in dein Unternehmen und verhindert, dass eure Entwicklung stagniert. 22

Es ist traurig, aber wahr: Ich wurde in der Vergangenheit auch schon mal von Mitarbeitenden ausgenutzt. Die Vertrauensarbeitszeit wurde missbraucht, angebliche Überstunden wurden zur Abrechnung eingereicht und ein iPhone ging zufällig genau zu der Zeit kaputt, als das Nachfolgermodell auf den Markt kam. Ich habe meinen Wert „Vertrauen“ in der Unternehmenskultur gelebt und wurde dann so hintergangen … Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich das cool weggesteckt habe und unberührt weiter meinen Weg gegangen bin. Natürlich war ich im ersten Moment tief enttäuscht und fühlte mich persönlich verletzt. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, dass das zum Unternehmer-Dasein dazugehört: Mitarbeitende kommen, Mitarbeitende gehen. Bei manchen Abschieden nimmt man sich am letzten Arbeitstag in den Arm. Wie bei einer langjährigen Mitarbeiterin, die während ihres Studiums bei uns gearbeitet hat: Als sie ihr Studium abgeschlossen hatte, habe ich ihr mit meinen Kontakten noch geholfen, einen großartigen Vollzeitjob bei ihrem Wunschunternehmen zu bekommen und ihr alles Gute gewünscht. Wir sind heute noch in Kontakt. Bei anderen Abschieden wiederum spricht man mit sofortiger Wirkung ein Hausverbot aus, kassiert die Schlüssel ein und ruft seinen Anwalt an. Eines habe ich daraus gelernt: Egal, wie es kommt, ich muss vorbereitet sein. Zum einen, um mich selbst und mein Unternehmen zu schützen. Zum anderen, und das ist eigentlich noch wichtiger, weil ich es meinem Team schuldig bin, jederzeit konsequent zu handeln. Aus diesem Grund habe ich einen Offboarding-Prozess entwickelt, mit dem ich scheidende Mitarbeitende professionell aus meinem Unternehmen verabschieden kann. In diesem Kapitel zeige ich dir, wie du dich bestmöglich auf die Trennung von Mitarbeitenden vorbereitest. Ich habe einen Weg gefunden, wie man den Abschied professionell abwickeln kann – und davon noch für die Weiterent- wicklung seines Unternehmens profitiert. 25

In diesem Buch hast du bereits die Bedeu- tung von strategischen Prozessen für das Onboarding neuer Mitarbeitender kennenge- lernt. Darum wird dich Folgendes nicht über- raschen: Ein strukturiertes Offboarding ist der letzte Schritt in der Employee Journey in deinem Unternehmen. Was du brauchst, sind feste Prozesse für fol- gende Szenarien bzw. „Abgangskategorien“: • Mitarbeitende, die im Guten gehen • Mitarbeitende, die im Schlechten gehen Stell dir das so vor: Für beide Szenarien hast du einen Umschlag in der Schreibtisch- schublade – einen blauen und einen roten. Wenn die Zeit kommt, ziehst du einfach den passenden Umschlag raus und wickelst die Situation professionell ab. Also: Was steckt in diesen Umschlägen? Klare Ziele und konkrete Prozessschritte. Ich beschreibe dir mal, wie das bei mir aussieht. 26

SZENARIO 1: EINE MITARBEITERIN GEHT IM GUTEN. In dieser Situation setze ich mir folgende Ziele: • Wir gestalten das Ausscheiden so, dass auf beiden Seiten keine Fragen offenbleiben. (Gute Kommunikation ist hier der Schlüssel.) • Die Mitarbeiterin fühlt sich wohl mit ihrer Entscheidung und fühlt sich auch weiterhin als Mensch wertgeschätzt. (Du kannst noch Alternativen zur Kündi- gung anbieten, zum Beispiel Teilzeit/Jobsharing oder Freistellung. Mach aber keinen Druck!) • Das Aufgabenfeld wird gut und vollständig übergeben. (Wenn du laufend akquirierst, kannst du schnell einen Kandidaten nachrücken lassen. Die Mitarbei- terin kann sogar noch bei der Auswahl und Einarbeitung helfen.) • Die Mitarbeiterin weiß, dass sie jederzeit ins Unternehmen zurückkehren kann. (Lass für gute Mitarbeitende immer die Tür offen!) • Sie hinterlässt eine positive Bewertung des Unternehmens in entspre- chenden Portalen. (Solche Bewertungen sind Gold wert für dein Recruiting.) • Die Führungskraft organisiert einen angemessenen Abschied und Ausstand. (Die Wertschätzung loyaler Mitarbeitender endet nicht mit Erhalt des Kündigungsschreibens!) Das Formulieren der Ziele ist nur der erste Schritt im Prozess. Als Nächstes musst du daraus einen Prozess ableiten, der Ablauf und Aufgaben für die Wochen nach der Kündigung definiert. Eine häufige Herausforderung in diesem Szenario ist, dass die Person, die gekündigt hat, sich für die Wochen bis zum Ende des Arbeitsvertrags krank- schreiben lässt. Auf uns als Arbeitgeber wirkt das erst mal wie eine Null-Bock- Haltung – dabei stecken dahinter ganz oft nur Unsicherheit und Angst: „Wie werde ich nach meiner Kündigung im Unternehmen behandelt? Sind meine Kollegen jetzt sauer auf mich, weil ich sie ‚im Stich lasse‘? Werde ich ausge- grenzt oder sogar angefeindet? Werde ich überhaupt noch gebraucht?“ 27

Jetzt bist du dran! In diesem Kapitel habe ich dir aufgezeigt, was du für ein professionelles Offboarding bedenken solltest. Nun ist es deine Aufgabe, einen blauen und einen roten Umschlag anzulegen. Dafür möchte ich dir ein paar Denkanstöße mitgeben: BLAUER UMSCHLAG ➜ Was kann ich Positives aus der Situation ziehen? ➜ Welche Fragen hätte ich gerne noch beantwortet, bevor die Mitarbeiterin geht? ➜ Wie kann eine erfolgreiche Übergabe aussehen? ➜ Wie bleiben wir in Kontakt? ROTER UMSCHLAG ➜ Was kann im schlimmsten Fall passieren? ➜ Was muss ich in dem Fall rechtlich berücksichtigen? ➜ Was kann auf mich zukommen? ➜ Was mache ich konkret in diesen Situationen? ➜ Über welche Konsequenzen muss ich den Mitarbeiter aufklären? Ich weiß, diese Überlegungen machen nicht gerade gute Laune. Kämpf dich einmal durch und hake das Thema ab. Die gute Nachricht: Du bist auf alles vorbereitet. Und: Den roten Umschlag wirst du sowieso sehr viel seltener aus der Schublade holen müssen als den blauen! 28

Mitarbeiter geht NICHT PERSÖNLICH NEHMEN. Menschen kommen und gehen, das gehört zum Unternehmer-Dasein dazu. Im Guten Neue Heraus - forderung Private Gründe Im Schlechten Fehlverhalten Betriebsbedingt Plan! Wie halte ich die Türe offen? Zeig Wertschätzung für die Person und ihre Entscheidung. Mach klar, dass eine Rückkehr immer möglich ist und organisiere einen angemessenen Ausstand. Wie schütze ich mein Team? Steh für deine Werte ein und zeige klare Konse- quenzen für Missachtung und Fehlverhalten. Das gibt allen, die noch da sind, Sicherheit. Wie bin ich auf der sicheren Seite? Zieh einen Rechtsbeistand hinzu und informiere dich schon vorher zu deinen Rechten und Pﬂichten als Arbeitgeber. 29

RECRUITING NEU DENKEN. Im Dreck kriechen, salutieren, in der Kaserne leben: Wieso schafft es die Bundeswehr mit diesen Arbeitsbedingungen, Mitarbeitende zu finden, aber du nicht? Ich vermute mal, die Jobs in deinem Unternehmen sind körperlich nicht so anstrengend und deine Mitarbeitenden setzen für dein Unternehmen im Ernstfall nicht ihr Leben aufs Spiel. Der Bewerbermarkt ist leer gefegt und richtig arbeiten will ja heute auch keiner mehr. Wenn du beim Lesen dieser Zeilen zustimmend genickt hast, wird dieses Buch dich ganz schön aufrütteln. Die Bundeswehr bezahlt nicht viel und die Arbeitsbedingungen sind nicht perfekt: Man ist viel unterwegs und der Job ist nicht besonders gut mit Familie und Hobbies vereinbar. Die Bezahlung wird von der Besoldungstabelle vorge- geben, und nicht an der persönlichen Leistung ausgerichtet. Und in der Gesell- schaft ist ihr Image auch nicht das Beste. Also sollte sie doch eigentlich als unattraktiver Arbeitgeber gelten, oder? Denn „Neustart Recruiting“ bringt einige unbequeme Wahrheiten auf den Tisch, die Unternehmerinnen und Unternehmer hören müssen, wenn sie die besten Talente gewinnen und halten wollen. Aber auf die ehr- lichen Worte folgen in diesem Buch auch Lösungen: Du bekommst praktische Tipps und erprobte Strate- gien, mit denen du die passenden Talente anziehst und ein motivierendes Arbeitsumfeld schaffst, das sie lang- fristig in deinem Unternehmen hält. Und trotzdem schaffen die Recruiter der Bundeswehr, Bewerber von sich zu überzeugen. Wie machen die das? Ganz einfach: Menschen kommen zur Bundeswehr, weil sie einem ehrenwerten, übergeordneten Ziel dienen wollen: Helfen und schützen – das ist (sehr vereinfacht) der übergeordnete Auftrag der Bundeswehr, mit dem sich die Bewerber und Mitarbeitenden identifizieren. So ging es auch mir, als ich meinen Wehrdienst freiwillig verlängert habe und anschließend parallel zum Aufbau meiner eigenen Firma weiter als Reservist bei der Bundeswehr diente. Denn die Identifikation mit diesen Werten wiegt alle Nachteile auf. Der Autor weiß, wovon er spricht: Andreas Mecke ist erfahrener Unternehmer und Personalvermittler. Er verbindet Kreativität und Strategie mit unternehmeri- schem Denken und zeigt dir, wie du ein Team aufbaust, das gemeinsam Höchstleistungen für dein Unter- nehmen erbringt. Diese Identifikation ist es auch, die mich motiviert hat, auch wenn die Arbeit Bist du bereit, dein Recruiting neu zu denken? Dann hole dir die passende Inspiration in diesem Buch! € 29,99 [D] 978-3-648-17762-4 Bestell-Nr. 14185-0001 www.haufe.de 30